Jun 052007
 

Dank der Kanthers, Schilys, Schäubles, Wolfs und Stegners kommt ein Liberaler wieder ganz groß raus, der eigentlich schon völlig in der Versenkung verschwunden war: Gerhard Baum, ehemaliger Bundesinnenminister (1978-1982) wird, neben wenigen Anderen, immer mehr zum wahrgenommenen rechtstaatlichen Gewissen der FDP. Heute findet sich ein überaus lesenswertes Interview mit Baum auf tagesschau.de. Im folgenden ein paar Auszüge, die ich erwähnenswert finde.

Über die Folgen der RAF:

Der Ausnahmezustand […] ist seitdem zur Regel geworden. Wir haben eine Umkehrung der Beweislast. Und wir haben seit 30 Jahren eine unvergleichliche, in der Geschichte der Bundesrepublik vorher nicht gekannte polizeiliche Aufrüstung in unterschiedlichen Schüben erlebt.

Über die Rolle des Bundesverfassungsgerichts:

Es gibt in den letzten Monaten etwa zehn Urteile des Bundesverfassungsgerichts gegen Gesetze der Länder und des Bundes wegen Verstoßes gegen die Grundrechte. […] Das Bundesverfassungsgericht sieht sich gezwungen, dem Gesetzgeber kontinuierlich in die Arme zu fallen. Diese Entwicklung ist Besorgnis erregend.

Über Angst und den Präventivstaat:

Man muss vor allem der Angst widerstehen. Mit der Angst wird Politik gemacht. […] Der Präventivstaat, der zunächst einmal jeden in irgendeiner Weise für verdächtig ansieht, bevor nicht das Gegenteil bewiesen ist, der ist heute Aktualität. Den haben wir.

Über den Bundeswehreinsatz im Innern:

Dem gegenüber steht die Tendenz, die Bundeswehr noch stärker einzubeziehen und durch einen Quasi-Verteidigungsfall die Kategorien eines Feindstrafrechts ins deutsche Recht einzuführen. Auf diese Weise will Schäuble das Verbot des Abschusses von Zivilflugzeugen umgehen. Wer so agiert, zweifelt an den Werten und auch an der Überlegenheit des Rechtsstaats.

Über Grundrechte:

Der Staat hat das Gewaltmonopol. Ich möchte aber auch gegen mögliche Übergriffe des Staates in meine Privatheit geschützt werden. Man lese nur den letzten Bericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, dann sieht man, wie weit dieser Schutz bereits durchlöchert ist. Aber es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit. Sicherheitsmaßnahmen müssen immer gemessen werden an den Grundrechten, dem Artikel 1, dem Schutz der Menschenwürde.

Ich habe selten auf so wenigen Zeilen eines Interviews komprimiert so viel Sinnvolles gelesen.

Jun 052007
 

Seit den Erfahrungen der letzten Wahlen ist meine Skepis gegenüber Umfragen und Wahlprognosen immer weiter gesunken. Zumal dann, wenn man die Art und Weise kennt, mit der solche Ergebnisse ermittelt werden, und weiß, dass sich immer mehr Wähler erst kurz vor einer Wahl wirklich entscheiden. Insofern lässt mich die heutige Meldung des Stern, dass die FDP auf ein Jahrestief sinkt, auch ziemlich kalt.

Davon abgesehen kann diese Entwicklung aber auch nicht wirklich überraschen. In einer Situation, in der die Sozialdemokratisierung unserer Gesellschaft mit zwei sozialdemokratischen Volksparteien (SPD und CDU) sowie zwei sozialdemokratischen Kleinparteien (Grüne und PDSLinkspartei) immer weiter zunimmt, verpennt die FDP die Vermittlung ihres Bildes eines bürgerlich-freiheitlichen und gerechten liberalen Staatsbildes.

Dabei werden die Ängste und Sorgen der Bürger vollständig ausgeblendet. Guido Westerwelle gibt sich als staatstragende Mischung aus Bundespräsident und -kanzler mit einer Volksferne, die kaum noch zu fassen ist. Und von Dirk Niebel nimmt man auch kaum andere Dinge wahr, als die Forderung, seinen Ex-Arbeitgeber, die Bundesanstaltagentur für Arbeit zu zerschlagen.

So richtig das alles auch sein mag: Wer in der Bundesführung nutzt denn die vollständige Abmeldung der CDU aus dem bürgerlichen Lager und zeigt auf, welche Vorteile eine bürgerlich-liberale Gesellschaft für die Menschen im Lande hat? Und ja: ein Steuersystem mit niedrigeren Sätzen mag ja für viele interessant sein, aber das kann doch wohl noch nicht alles gewesen sein?

Die Eindimensionalität der Bundesführung treibt mir wirklich Sorgenfalten auf die Stirn. Alles ist so vorhersehbar: Niedrige Steuern, Atomkraft ist geil, Genfraß auf den Teller, BA zerschlagen. Habe ich Themen vergessen? Wo ist die Auseinandersetzung mit den multinationalen Konzernen, der Tatsache, dass diese die Freiheit des Individuums oft in stärkerem Maße beeinflussen, als der Staat es früher tat? Denn die Multis entziehen sich größtenteils jeder staatlichen Kontrolle.

Müssen nicht Liberale in logischer Konsequenz aus der Forderung nach Stärkung des Staatsbürgers gegenüber dem Staat diesen auch in seiner Rolle gegenüber den Multis stützen und schützen? Wie ist die Rolle des Staates gegenüber den Rechten der Bürger nach Freiheit und Sicherheit zu definieren? Wieso treten nur wenige Aufrechte in der Partei rechtzeitig Leuten wie Ingo Wolf entgegen und wieso schweigt die Bundesführung dazu, wenn im Namen der FDP Bürgerrechte kassiert werden? Was ist daran liberal, wenn Monopolisten bei der Gewinnmaximierung durch die Produktion von Atomstrom unterstützt werden – auf Kosten des Rechts auf körperliche Unversehrtheit der Bürger und zu Lasten künftiger Generationen, die mit ihrer strahlenden Zukunft allein gelassen werden? Was ist daran liberal, wenn Individuen gezwungen werden, genmanipulierte Nahrung zu sich zu nehmen, obwohl sie sich dagegen entschieden haben – weil der FDP die Freisetzung dieser womöglich gesundheitsgefährdenden Produkte völlig schnuppe zu sein scheint? Und wie sehen soziale Sicherungssysteme in einem bürgerlich-liberalen Staatswesen aus, die den Menschen die Angst vor einem sozialen Abstieg nehmen und dafür Sorgen, dass ich Leistung nicht nur mehr für die lohnt, die eh schon vermögend sind?

Über all diese Fragen könnte die FDP eine politische Diskussion anführen, bei der es wirklich um ein Bündnis mit dem Bürger (PDF, ca. 300 KB) und nicht um Worthülsen geht. Solange die Westerwellisierung der Partei allerdings weitergeht, ist nicht damit zu rechnen, dass die FDP das Potential an bürgerlich und liberal gesinnten Wählern wirklich hebt. Dann bleibt sie weiterhin auf die wirtschaftsliberalen Bürgerschichten beschränkt. Das wäre schade, weil das liberale Spektrum so viel größer ist und erhebliche Schnittmengen mit Wählern von Grünen, SPD und CDU aufweist. Wer nicht erkennt, dass man diesen Menschen ein besseres Angebot als die genannten Parteien bieten kann und muss, der darf sich dann auch nicht wundern, wenn Wahlprognose und -ergebnis in der Zukunft womöglich zusammenlaufen werden.