Kurt Beck äußert sich in einem morgen erscheinenden Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, auf die bereits heute ein Vorabbericht hinweist, ebenso wie in der Netzeitung sowie bei Spiegel Online und tagesschau.de, unter anderem über die CDU, der er gemäß Berichterstattung vorwirft, einem „Neoliberalismus“ zu folgen, der „in der Luft“ hänge und weiter: „Er ist eine Ideologie ohne Erdung„.
Aus diesen Aussagen spricht nur eines: Die Angst vor der fortschreitenden Sozialdemokratisierung der Union. Denn im selben Maße wie der SPD am linken Rand Parteimitglieder und Wähler verlustig gehen und sich – dieses Mal ausnahmsweise freiwillig! – mit den SED-Nachfolgern zur Linkspartei zusammenschließen, brechen von der rechten Seite die Christdemokraten brachial in angestammtes SPD-Territorium ein. Die Agenda der CDU wird im Moment beispielsweise bestimmt von Ursula von der Leyen, allgemein als „neoliberal“ beschimpfte Politiker wie beispielsweise Friedrich Merz haben sich längst frustriert zurück gezogen.Und diese Angst Kurt Becks ist berechtigt: Nachdem die SPD unter Gerhard Schröder stramm in die bürgerliche Mitte zog, dokumentiert die Wahl von Andrea Nahles zu Becks Stellvertreterin den Rückzug in linke Gefilde. Doch die sind inzwischen von Grünen und Linkspartei besetzt, von rechts setzt die CDU nach. Und mit vier Parteien sozialdemokratischen Anstrichs wird es nun für das ursprüngliche Original immer enger.
Besonders bemerkenswert ist die Aussage des Artikels: „Der Gegensatz zwischen Staat und Freiheit sei ‚ein künstlicher‘.“ Dort, wo früher Heiner Geisler fälschlicherweise behauptete, der Pazifismus der 30er-Jahre habe Auschwitz erst möglich gemacht, kann man nun – allerdings richtigerweise feststellen – die Staatsgläubigkeit von Menschen wie Kurt Beck macht den Präventationsstaat erst möglich. Ein Wolfgang Schäuble braucht Leute wie Kurt Beck, die eine Staatsgläubigkeit ohne Erdung propagieren.
Weiter gemäß FAZ.NET:
Der Neoliberalismus der Union habe „den Menschen, die für ihre Kinder gute öffentliche Schulen wollen, nichts zu sagen“, und er gehe über die hinweg, die Schutz vor Willkür und Diskriminierung im Wirtschaftsleben erwarteten, schreibt Beck in der F.A.Z. „Wo das Recht auf dem Rückzug ist, tritt nicht die Freiheit auf den Platz, sondern das Privileg.“
Auch diese Aussage ist bemerkenswert, wenn man sich konkrete Politik in den Ländern ansieht. So hat beispielsweise die SPD in Schleswig-Holstein gemeinsam mit den Grünen zunächst bewusst die Hauptschulen ausgeblutet, indem dieser Schulform derjenigen, die wirklich auf gute Betreuung und Ausbildung angewiesen sind, über Jahre hinweg die nötigen Lehrkräfte verweigert wurden. Ohne Rücksicht auf die Betroffenen hat die sozialdemokratische „Bildungsministerin“ Ute Erdsiek-Rave ihre ideologische Politik durchgezogen. Sozialdemokraten und keine Neoliberalen haben den Schülern ihre Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft verweigert, die Hauptschulen zu Restschulen abgewirtschaftet. Und nun machen sich rote und schwarze Sozialdemokraten gemeinsam daran, der Realschule durch die Zusammenlegung mit den nun entstandenen „Restschulen“ der Chancenlosen den Todesstoß zu verpassen. Die Fluchtbewegung der Schüler mit Realschulempfehlung an die Gymnasien spricht Bände. Für die Chancenlosigkeit der Schüler dieser Schulformen braucht es keine Neoliberalen, das schaffen die Sozialdemokraten auch ganz ohne Hilfe.
Weiter:
Beck glaubt, die in rund um den G-8-Gipfel zum Ausdruck gebrachte Kritik an einer ungerechten Form der Globalisierung werde von der Mehrheit der Bürger geteilt. Deutschland und Europa könnten viel dafür tun, um die soziale Globalisierung zu fördern.
Damit stellt sich ja sofort die Frage, welche Regierungspartei seit 1998, also seit fast 9 Jahren permanent an der Regierung beteiligt ist und die Entwicklungshilfeministerin stellt. Und aus dieser Fragestellung ergibt sich dann auch folgerichtig diejenige, wer es denn nun fast ein Jahrzehnt lang versäumt hat, die Zusagen, die man den Ärmsten der Welt gemacht hat, auch nur ansatzweise einzuhalten. Auch für den Betrug an den Ärmsten der Armen braucht Herr Beck weder auf die Globalisierung noch auf ach so böse neoliberale Tendenzen zu verweisen, sondern sich als Parteivorsitzender besagter Regierungspartei lediglich an die eigene Nase zu fassen.
Das „Wegducken vor den sozialen Herausforderungen unserer Zeit“ ist nach Ansicht des SPD-Vorsitzenden „symptomatisch für eine Schwundform des Liberalismus, die politische Freiheit mit Privatisierung verwechselt und den solidarischen Bürger zum egoistischen Bourgeois zurückentwickeln will“.
Vielleicht sollte sich Kurt Beck doch noch einmal mit Gerhard Schröder über die Gründe unterhalten, die schlussendlich zu den Arbeitsmarktreformen unter Rot-Grün geführt haben. Einer der Gründe war nämlich der, vielen Betroffenen zunächst einmal wieder aufzuzeigen, dass sie zunächst eigenverantwortlich das erledigen, was sie selbst tun können, bevor sie nach dem Staat rufen. Beispielsweise waschen und rasieren – wie doch gerade noch irgendein Vertreter aus der SPD medienwirksam gefordert hatte.
Die Forderung, den Bürger zum „egoistischen Bourgeois“ zu entwickeln, kann ich nirgendwo finden. Wohl aber fortdauernde Bestrebungen, unter dem Deckmantel der Solidarität Menschen in Abhängigkeit von Staat und seinen Transferleistungen zu bringen, und deren Versuche, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben, zu torpedieren. Das, was heute auch von Kurt Beck als die neoliberale Entwicklung beschrieben wird, sind die verzweifelten Versuche, wenigstens die schlimmsten Auswirkungen totaler Staatsgläubigkeit zu korrigieren. Deutschland wird eher neosozialistisch als neoliberal.
Was mich allerdings – wie bei allem ideologischen Gefasel über Neoliberalismus – wirklich brennend interessieren würde, ist eine Antwort auf die Frage, was denn genau Neoliberalismus sein soll und welche konkreten Erscheinungen und Auswirkungen in Deutschland oder der EU genau denn in diese Kategorie einzustufen sind. Und vor allem, was der Grund für eine solche Einstufung dann sein soll. Bisher habe ich auf solche Fragen noch nie eine präzise, belastbare Antwort erhalten.