Seit Freitag steht fest, dass die GDL auch den Güter- und Fernreiseverkehr bestreiken darf. Damit sind jetzt die Kräfteverhältnisse in der Auseinandersetzung zwischen Bahn AG und Lokführergewerkschaft neu verteilt. Entsprechend sind auch die Reaktionen aus Bahnführung und Politik zu verstehen. Weiterhin ist jetzt klar, dass die Bahn der GDL den Anspruch auf einen eigenen Tarifvertrag höchstens als unternehmerische Entscheidung verwehren kann. Sie kann dabei allerdings nicht mehr in Anspruch nehmen, dass rechtliche Bedenken in dieser Hinsicht bestünden.
Zur Neuverteilung des Kräfteverhältnisses gehört aufgrund der besonderen Situation bei der Bahn nun, dass die GDL deutlich im Vorteil ist. Während die GDL ab sofort Streiks in allen Bereichen der Bahn initiieren kann, steht der Bahn das Mittel der Aussperrung nicht zur Verfügung. Denn die Bahn hat mit den anderen beiden Bahngewerkschaften einen gültigen Tarifvertrag und weiß im Zweifel nicht, welcher Mitarbeiter bei welcher Gewerkschaft organisiert ist. Mein Mitleid über die Schwäche der Bahn AG hält sich allerdings in engen Grenzen. Denn die Bahn hätte sich zu dem Zeitpunkt, als sie sich aufgrund der Beschränkung der Streiks auf den Regionalverkehr deutlich im Vorteil befand, einfach mehr um eine Lösung bemühen können und müssen. Stattdessen haben Frau Suckale und Herr Mehdorn im Vertrauen auf ihre gute Position und in der vermeintlichen Sicherheit eines Gefälligkeitsurteils keinerlei Interesse an einem Kompromiss gezeigt.
Jetzt allerdings zeigen die fast panikartigen Reaktionen, dass man auf die aktuelle Situation nicht einen Deut vorbereitet ist. Frau Suckale hofft darauf, dass die GDL jetzt aus dem Gefühl des Sieges heraus kompromissbereiter sei, als es die Bahn aus der Position der vermeintlichen Stärke heraus war. Herr Mehdorn ruft jetzt nach der Politik in Form des Eingreifens der Kanzlerin. Angela Merkel soll nun die Probleme lösen, die er selbst durch seine Verweigerungshaltung herbei gemauert hat. Wo bleibt denn da eigentlich die Tarifautonomie? Oder will Herr Mehrdorn vielleicht auch, dass die SPD auf ihrem nächsten Parteitag den Mindestlohn für Lokführer beschließt? So demontiert man sich selbst: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Den Vogel allerdings schießt der Mehdorn-Intimus und schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Austermann (CDU)ab. Gemäß Zeitungsberichten beklagt er, dass die Streiks im Güterverkehr einen „Eingriff in die Logistik-Landschaft und damit in das wirtschaftliche Wachstum“ bedeuteten, „das nicht so stabil ist, dass es nachhaltige Dämpfer verträgt.“ Das könnte ja auch daran liegen, dass Herr Austermann sich mit – formulieren wir es vorsichtig – rechtlich zumindest diskussionwürdigen Verfahren dafür einsetzt, dass Bahnmonopol in Schleswig-Holstein wieder herzustellen, indem Streckenvergaben so gestaltet werden, dass im Zweifel immer die Bahn den Zuschlag zu erhalten scheint. Genau deshalb wirken sich doch auch die Streiks so massiv aus. Gäbe es wirklich Wettbewerb auf der Schiene, würden die Streiks der GDL kaum derart große Probleme schaffen.
Die Situation der angeblichen Erpressbarkeit von Bahn, Wirtschaft und Gesamtgesellschaft durch eine kleine Gewerkschaft wie die GDL haben Landes- und Bundesregierung sehenden Auges in Kauf genommen. Jetzt wollen Sie nur die Konsequenzen ihres Handelns nicht eingestehen, zeigen auf die Lokführergewerkschaft und fordern jenes Augenmaß ein, welches sie selbst über Jahre nicht aufbringen wollten. Man sollte dieses Verhalten so bezeichnen, wie es sich darstellt: erbärmlich.
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