Jul 022012
 

Ich habe wieder einmal Post bekommen. Samstag war’s. Eigentlich bekomme ich gern Post. Aber schon der Betrefftext zeigte mir: Das ist nicht gut für meinen Blutdruck. „Mitgliederbrief des Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden“ stand da, und unten bappte ein Logo: „Wir halten Deutschland auf Wachstumskurs.“ Wachstum. Nun gut, dazu hat der Sportsfreund Kubicki bereits alles Wesentliche gesagt. Dann habe ich das angehängte PDF geöffnet, drei bis vier Zeilen überflogen und schnell wieder geschlossen. Blutdruck und so.

Heute habe ich mich dann mannhaft daran gemacht, das Machwerk der Herrn Rösler und Brüderle durchzulesen. Und was soll ich sagen? Sie haben sich selbst übertroffen!

Schon der Anfang:

Liebe Parteifreundinnen,
liebe Parteifreunde,

Manchmal würde man sich wünschen, man hätte seine Freunde besser ausgesucht. Beim Mitgliederentscheid noch Antieuropäer, heute mal wieder Parteifreund. Das kann schon verwirren.

Bundestag und Bundesrat haben in dieser Woche wichtige Entscheidungen getroffen, mit denen ein neues Kapitel in Europa aufgeschlagen wird. Mit der Zustimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und zum Fiskalvertrag richten wir Europa neu aus. Wir entwickeln die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer echten Stabilitätsunion.

Potzblitz! Der Bundestag und Bundesrat haben in dieser Woche wichtige Entscheidungen getroffen. Was machen die denn sonst so? Halma spielen? Und neue Kapitel wurden aufgeschlagen. Das beeindruckt mich nun wirklich. Mit ESM und Fiskalvertrag wird Europa(!) neu ausgerichtet. Ich hätte den Wunsch, dass Deutschland dabei ein bisserl näher an den Äquator rückt, wenn’s möglich wäre. Weil das mit der Klimaerwärmung ja nicht so funktioniert, wie zugesagt. Nicht möglich? Okay. Und dann die Wirtschafts- und Währungsunion, sie wird jetzt eine echte(!) Stabilitätsunion. Bisher war sie dann also … ???? … eine „unechte Stabilitätsunion“? Dann war also der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch unecht, also gar nicht ernst gemeint? Mir wird nun einiges klar.

Mit dem Fiskalvertrag schaffen wir längst überfällige Instrumente und Regeln, mit denen in allen Mitgliedstaaten solide Haushaltspolitik eingefordert wird. Es ist ein großer Erfolg der Bundesregierung, dass es gelungen ist, die Vertragsstaaten zu verpflichten, eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild im jeweiligen nationalen Recht zu verankern.

Ich verstehe das also richtig, dass erst der Fiskalvertrag längst überfällige Instrumente und Regeln schafft, mit denen in in allen Mitgliedsstaaten solide Haushaltspolitik eingefordert wird? Also noch einmal zum Mitmeißeln: Als am am 17. Juni 1997 in Amsterdam besagter Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen und dann geltendes EU-Recht wurde, da wurden diese Instrumente und Regeln vergessen? Oder man hat sie falsch eingerichtet? Oder hat man sie beschlossen und sich anschließend einfach nicht daran gehalten? Und jetzt ist es also ein Erfolg der Bundesregierung, dass die Vertragsstaaten, die sich – wie Deutschland – bisher an den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht gehalten haben, etwas in nationales Recht umsetzen müssen, an das sie sich womöglich auch nicht halten? Wo liegt da der Fortschritt? Ist der Fortschritt dann, dass sie neben europäischen Verträgen auch noch nationales Recht brechen? Okay, jeder definiert Fortschritt anders.

Mit dem ESM installieren wir einen Krisenmechanismus, um die finanzielle Stabilität der Euro-Zone zu sichern. Die Mehrheit der Mitglieder der FDP hat sich im vergangenen Jahr im Mitgliederentscheid für die Einrichtung des ESM ausgesprochen. Die Auszahlung der Finanzhilfen ist an die Einhaltung von Auflagen und Bedingungen geknüpft.In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 28./29. Juni 2012 ist erneut vereinbart, dass die Nutzung der EFSF/ESM-Instrumente nur im Einklang mit den geltenden Leitlinien eingesetzt werden. Die Konditionalität bleibt daher erhalten. Leistung und Gegenleistung, Gegenleistung und Kontrolle bleiben auch künftig unverzichtbar.

Okay, der ESM kann also das, was der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht konnte, weil… ??? weil… ??? – weil die Mehrheit der Mitglieder der FDP sich im vergangenen Jahr im Mitgliederentscheid für die Einrichtung des ESM ausgesprochen hat. Prima. Nur leider platt gelogen! Denn die Mehrheit der Mitglieder hat sich an dem Mitgliederentscheid überhaupt nicht beteiligt. Weniger als 17 Prozent haben dem Antrag des Bundesvorstands ihre Stimme gegeben – mehr als 83 Prozent nicht. Der Antrag hat über die Antrag der ESM-Gegner obsiegt, aber das ist beileibe kein Anlass für Triumpfgeheul und dreiste Lügen.

Leistung und Gegenleistung, Gegenleistung und Kontrolle bleiben auch künftig unverzichtbar. Super, die bleiben unverzichtbar. Waren sie auch immer schon. Und dieselben Verantwortlichen, denen ein kompletter Staat mit gefälschten Zahlen durch das dichte Netz von Leistung, Gegenleistung und Kontrolle in die Eurozone geschlüpft ist, erhalten nun die Konditionalität – im Einklang mit geltenden Richtlinien. Jetzt bin ich aber so richtig beruhigt. Profis am Werk.

Beide Positionen in Brüssel durchzusetzen war nicht einfach. Es ist insbesondere der Hartnäckigkeit der FDP zu verdanken, dass es im Gegenzug nicht zu einer Vergemeinschaftung der Schulden in Europa kommt. Es gibt auch zukünftig weder Eurobonds noch einen Schuldentilgungsfonds. Eine Vereinheitlichung der Zinsen setzt gerade die falschen Anreize und senkt die Hemmschwellen gegenüber einer unsolide Finanzpolitik.

Nichts ist durchgesetzt. Da mögen dreckige Absichtserklärungen in nutzlosen Papieren stehen. Durchgesetzt ist etwas, das hinterher auch geschieht. Und es wäre das erste Mal in diesem gesamten Trauerspiel, dass das, was in den Verträgen steht, auch eingehalten würde. Aber die Herrn Rösler und Brüderle finden es ja schon anstrengend, wirkungslose Formulierungen in wirkungsloserer Verträge zu verhandeln. Das lässt ja hoffen! Und wir bekommen weder Eurobonds noch Schuldentilgungsfonds – jedenfalls jetzt noch nicht. Der Spaß am Umfallen ist ja, dass man das immer wieder machen kann. Und außerdem ist das inzwischen völlig egal, weil der ESM allein schon reicht, die deutschen Staatsfinanzen in den Abgrund zu reißen – ganz ohne jeden weiteren Schnickschnack.

Parallel zu den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat haben sich Koalition und Opposition auf einen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ geeinigt. Es ist gut, dass auch SPD und Grüne endlich akzeptieren, dass Wirtschaftswachstum für die Zukunftschancen der Menschen notwendig ist. Dies zeigt, wie richtig unsere Schwerpunktsetzung auf Wachstum war. Und es ist erfreulich, dass auch die Opposition nicht mehr Wachstum auf Pump fordert.

Jetzt wird’s richtig prima: Dieses Wachstumsgesäusel, das SPD und Grüne immer wollten und die FDP bisher(!) nicht – das wird uns nun als Erfolg verkauft. Mönsch, unsere FDP ist gar nicht umgefallen! Nein, SPD und Grüne haben endlich akzeptiert, das Wirtschaftswachstum notwendig ist. Und das die Schwerpunktsetzung auf Wachstum so richtig war. Übrigens hat Wolfgang Kubicki… Ach, das hatten wir ja schon. Und dann nicht mehr auf Pump, dieses Wunderwachstum! Wie darf ich mir das vorstellen? Wachstum erst wieder, wenn die Staatshaushalte ausgeglichen sind? Oder wie?

In diesem Zusammenhang wurde auch vereinbart, eine Finanzmarktbesteuerung in Europa auf dem Weg der verstärkten Zusammenarbeit anzustreben. Die FDP hat immer gefordert, die Finanzmärkte an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen. Klar ist aber: Eine Finanzmarktbesteuerung kann nur kommen, wenn Kleinanleger nicht belastet und Abwanderungstendenzen ins europäische Ausland verhindert werden. Es ist uns als FDP gelungen, diese Bedingungen in den Verhandlungen durchzusetzen. Die Vereinbarung stellt sicher, dass die Finanzmarktbesteuerung nicht zu einer Belastung von Kleinsparern, Rentnern und der Realwirtschaft führt. Damit haben wir durchgesetzt, dass Haftung und Verantwortung wieder zusammengeführt werden.

Und zum Glück kommt nun auch endlich die Finanzmarktbesteuerung. Wollte die FDP bisher nicht? Macht nichts! Formuliert man einfach anders. Ist ja auch eine Form der Beteiligung der Finanzmärkte an den Kosten der Finanzkrise, irgendwie. Nicht die Beteiligung derjenigen, die die Krise verursacht haben, sondern einfach aller Teilnehmer am Finanzmarkt. Aber egal – merkt schon keiner. Und durchgesetzt hat die FDP, dass Kleinanleger und die Realwirtschaft nicht belastet werden sowie Abwanderungstendenzen ins europäische Ausland verhindert werden? Natürlich schreiben die Gebrüder Röslerle in ihrem modernen Märchen nicht, wie das konkret aussieht. Weil das – wie man in der IT sagt – eben einfach Vaporware ist. Karton ohne Inhalt. Schlimmer noch: Es wird schwerlich möglich sein, in diesen Karton irgendetwas zu füllen, das der Aufschrift nur annähernd gerecht werden kann. Das nachzuvollziehen, bleibt dem geneigten Leser als einfache Übung überlassen. „Und wenn man gerade so schön am Rumspinnen ist“, haben sich die beiden gedacht, „dann behaupten wir einfach grundlos, wir hätten Haftung und Verantwortung wieder zusammengeführt. Merkt keiner!“

Mit den aktuellen Beschlüssen ist die Finanzkrise in Europa nicht zu Ende. ESM und Fiskalvertrag können aber wesentlich dazu beitragen, die Eurozone künftig robuster zu machen.

Neehee, damit ist die Finanzkrise wahrlich nicht zu Ende. Mit Eurem ESM und Fiskalpakt habt Ihr eine richtig schöne, dicke Lunte an ein robustes Abschlussfeuerwerk des Euro gelegt. Wachstum. Wohlsein. Glückauf.

Der Weg Europas kann nur der Weg in die Stabilitätsunion sein. Bundestagsfraktion und Bundespartei sind sich dabei ihrer Verantwortung für Europa bewusst. Aber so wie Deutschland seine Verantwortung für ein gemeinsames Europa unter Beweis stellt, müssen unsere Partner ihre Verantwortung für Haushaltskonsolidierung und Wachstum wahrnehmen. Solidarität ist kein Selbstzweck, sondern erfordert beiderseits Leistungen. Wer diese Gegenleistung nicht erbringt, schließt sich aus der europäischen Wertegemeinschaft aus. Daran darf es zukünftig keinen Zweifel geben. Gerade hier werden wir als Liberale gefordert sein.

So, zum Abschluss jetzt aber mal Tacheles.
Erstens: 83 Abgeordnete der FDP-Fraktion haben gerade die Hand dafür gereicht, mit dem ESM die Stabilitätsunion aufzulösen. Mit der Nichtbeistandsklausel war alles geregelt, was ein friedliches Zusammenleben in Europa und die Stabilität des Euro sicherstellt.
Zweitens: Keiner der 83 Abgeordneten ist seiner Verantwortung auch nur ansatzweise gerecht geworden. Sie haben die Zukunft Europas und die demokratischen sowie parlamentarischen Werte der Bundesrepublik mit Füßen getreten. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finden soll – wenn sie es im Bewusstsein ihrer Verantwortung getan haben oder nicht einfach nicht wussten, worum es ging.
Drittens: Niemand kann seine Verantwortung für eine Vertragsgemeinschaft unter Beweis stellen, indem er die Verträge bricht. Auch Deutschland nicht.
Viertens: Wie oft sollen noch Konsequenzen für Fehlverhalten angekündigt werden, die dann nicht umgesetzt werden? Das ist inzwischen völlig unglaubwürdig.
Fünftens: Die FDP-Bundestagsfraktion hat in ihren Reihen nur noch zehn Liberale.

Freude, schöner Götterfunken!

  2 Antworten zu “Die Märchen der Gebrüder Röslerle”

  1. Nagel -> Kopf!
    Danke für diese perfekte Analyse!

  2. Respekt, das du es geschafft hast Gesülze bis zum Ende durch zu lesen… wäre bestimmt nicht gut für meinen Blutdruck 😉

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