Heute entspann sich bei Facebook eine interessante Debatte zwischen Jan-Hendrik Strunk (ehemaliger FDP-Ratsherr und Ortsvorsitzender in Eckernförde, inzwischen Mitglied der SPD), Klaus Witzig (ehemaliger Fraktionsvorsitzender der SPD in Eckernförde) und mir über das, was zurzeit im Zusammenhang mit Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten der SPD geschieht. Aufhänger war die Skandalisierung der Äußerungen Steinbrücks über die Höhe des Gehalts der Bundeskanzlerin. Schnell einig waren wir uns darüber, dass die Äußerungen Steinbrücks in der Sache durchaus nicht falsch sind.
Klaus Witzig lieferte dazu noch einmal das Originalzitat aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAZ):
FAS: Gerhard Schröder wollte nach dem Ende seiner Kanzlerschaft mal richtig Geld verdienen. Hatten Sie nach dem Ende Ihrer Ministerzeit auch so ein Gefühl?
Steinbrück: Nein. Dieses Gefühl gab es nie. Im Übrigen finde ich allerdings, dass manche Debatte über die Bezahlung unserer Abgeordneten bis hin zur Spitze der Bundesregierung sehr schief ist. Nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin. Abgeordnete des Bundestags arbeiten fast sieben Tage die Woche, durchschnittlich 12 bis 13 Stunden. Sie sind gemessen an ihrer Leistung nicht überbezahlt. Manche Debatte, die unsere Tugendwächter führen, ist grotesk und schadet dem politischen Engagement.
FAS: Verdient die Kanzlerin zu wenig?
Steinbrück: Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig – gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.
Bereits im Schwesterblatt der FAS, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), erschienen Auszüge dieses Interviews mit der Überschrift: „Peer Steinbrück im Gespräch – »Bundeskanzler verdient zu wenig«“. Die Überschrift ist zwar nicht falsch, denn Peer Steinbrück hat das ja wirklich so gesagt – allerdings nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Nachfrage der Journalisten. Die Antwort auf die Frage davor lässt sogar darauf schließen, dass der SPD-Kanzlerkandidat die Bezahlung bisher für sich selbst noch nicht als Problem gesehen hat.
Bei der WELT hieß es dann schon: „Steinbrück kritisiert Kanzlergehalt als zu niedrig„. Spätestens da war klar, dass die Debatte sich verselbständigen würde. Er war durch seine hohen Vortragshonorare, die er in einer Zeit verdiente, als er sich als nicht gerade gering bezahlter Bundestagsabgeordneter im Bundestag (zumindest als Redner) ziemlich rar machte, in der öffentlichen Meinung die Schulblade der Kategorie „Mitglied vom Stamme ‚Nimm'“ bereits einsortiert. Jetzt besaß doch dieser Peer Steinbrück offensichtlich die Frechheit, für sich selbst als kommender Bundeskanzler eine höhere Bezahlung zu fordern – so sah es zumindest in der Berichterstattung aus. Die WELT schrieb nämlich:
Inmitten der Diskussion über seine hohen Vortragshonorare hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eine Debatte über die Bezahlung für Bundeskanzler angestoßen. Kritik an der Höhe der Abgeordnetenbezüge bezeichnete Steinbrück als groteske Debatten von „Tugendwächtern“.
Hier wird die Wahrheit dann bis ans Äußerste gedehnt, denn natürlich könnte man sagen, Peer Steinbrück hat diese Debatte angestoßen – er hätte ja auch anders antworten können, dann wäre diese Debatte ausgeblieben. Tatsächlich angestoßen wurde diese Debatte allerdings durch die Frage der FAS, ob die Kanzlerin zu wenig verdiene. Verlassen hat den Bezug zur Realität des Interviews dann schließlich die taz, die sich die folgende Überschrift zusammenphantasiert: „Steinbrück fordert höheres Kanzlergehalt – Der kleine Häwelmann„. Zumindest diese Forderung gibt das Interview so gar nicht her.
Spätestens jetzt kam die Maschinerie ins Rollen. Natürlich musste die SPD sich zu diesen Vorwürfen verhalten – und sie verhielt sich wie gewünscht. So konnte die FAZ mit neuer Überschrift aufmachen: „Kanzler-Bezüge – SPD widerspricht Steinbrück„. Besonders bitter für den Kandidaten muss es sein, dass ausgerechnet Gerhard Schröder als Kronzeuge herangezogen wird:
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erntet heftigen Widerspruch für seine Aussage, Bundeskanzler verdienten zu wenig. Die Kritik kommt vor allem aus den eigenen Reihen. Altkanzler Gerhard Schröder sagt, er habe immer davon leben können.
Weitere Gegenmeinungen kommen von Dieter Wiefelspütz, dem Kieler Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels oder dem schleswig-holsteinischen SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner, alle im selben Artikel nachzulesen. Da wollen sich natürlich auch die Grünen als designierter Koalitionspartner nicht lumpen lassen und stimmen in den Chor mit ein: „Kanzlergehalt – Grüne rüffeln Steinbrück„. Und in der ZEIT wurde es dann gar noch psychologisch: „Debatte über Kanzlergehalt – »Steinbrück hat die Wähler gekränkt«“
Muss man nun Mitleid mit Peer Steinbrück haben? Eigentlich nicht. Steinbrück ist Profi im Politgeschäft und sollte wissen, wie der Hase läuft. Er hätte der ganzen Diskussion alle Schärfe nehmen können, hätte er seine zweite Antwort mit den Worten geschlossen: „Unsere Gesellschaft hat im Moment allerdings andere und dringendere Probleme.“ Damit wäre die Luft ziemlich schnell aus der Debatte gewesen, er hätte sie in der Wichtigkeit der politischen Probleme richtig eingeordnet. Das hätte ihm nicht einmal schwer fallen dürfen, wenn man sich noch einmal seine Antwort auf die erste Frage vor Augen führt. Doch im typischen Steinbrück’schen Selbstbewusstsein und wie üblich ein wenig testosterongeschwängert war ihm das wohl nicht kantig und bullig genug.
Ich fühle mich dabei so erinnert an den ehemaligen FDP-Parteivorsitzenden und damaligen Vizekanzler Guido Westerwelle. Der schrieb am 11. Februar 2010, also vor beinahe zwei Jahren, in der WELT unter der Überschrift „Hartz-IV-Debatte – An die deutsche Mittelschicht denkt niemand“ einen Namensbeitrag, der unter anderem den folgenden Abschnitt enthielt:
Was sagt eigentlich die Kellnerin mit zwei Kindern zu Forderungen, jetzt rasch mehr für Hartz IV auszugeben? Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge. Diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leistungsgedanken besorgt mich zutiefst. Die Missachtung der Mitte hat System, und sie ist brandgefährlich. Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.
Nichts daran ist falsch. Sogar viele Sozialdemokraten – Vermutlich nicht alle! – könnten das unterschreiben. Wenn es nicht gerade von Guido Westerwelle in der gewohnt selbstbewussten, ein wenig testosterongeschwängerten Art (Wir erinnern uns einige Absätze zurück!) gekommen wäre. Und wenn nicht genau dieser Westerwelle sich zu diesem Zeitpunkt mit öffentlichen Äußerungen ebenfalls bereits seinen festen Platz in der Schublade „krawalliger, neoliberaler Kaltherzling“ erarbeitet hätte. Dieselbe Maschinerie machte zunächst aus den Kritik an politischen Vertretern („Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht“) die Aussage, nach Westerwelle prassten die Empfänger von Hartz-IV in spätrömischer Dekadenz. Wenn man die Wahrheit nur weit genug dehnt, dann ließe sich das auch aus Westerwelles Sätzen konstruieren. Geschrieben – und gemeint – hat er es nie. Danach nahm die Entwicklung ihren bekannten Lauf, Westerwelle verlor Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft. Die liebevolle Einordnung in seine Schublade in der öffentlichen Wahrnehmung verlor er allerdings bei den meisten Deutschen bis heute nicht wieder.
Allzu gern wird auf diesen stets wiederkehrenden Wellen der persönlichen Hinrichtung und Abstrafung vom jeweils politischen Gegner gern mitgesurft, damals bei Westerwelle, heute bei Steinbrück und bei vielen anderen auch. Denn mit der persönlichen Diskreditierung einer Person, der festen Einordnung dieser in eine Schublade, werden natürlich auch deren sachliche politischen Aussagen in Mitleidenschaft gezogen, vielleicht sogar entwertet. Der politische Gegner wird in seiner Struktur geschwächt und mit anderen Dingen beschäftigt, also abgelenkt. Das macht dann die eigenen Argumente nicht besser, aber die Debatte deutlich leichter. Und weil Politik so funktioniert, wenden sich die Menschen ab. Und weil Presse so funktioniert, ist auch das Ansehen der Journalisten inzwischen deutlich in Mitleidenschaft gezogen.
Man kann sich jetzt als FDP-Mitglied natürlich freuen, dass es auch den politischen Gegner endlich einmal erwischt. Man kann es unter ausgleichender Gerechtigkeit abbuchen. Man darf aber auch Fragen stellen, möglicherweise die folgenden:
- Wird die Presse mit dieser Art der Berichterstattung eigentlich ihrer Aufgabe als so genannte „4. Gewalt“ im Staate auch nur ansatzweise gerecht?
- Landen mit jedem dieser Vorgänge nicht in der öffentlichen Wahrnehmung alle Politiker in einer Art Kollektivhaftung?
- Nehmen nicht alle Parteien daran Schaden, selbst wenn ausschließlich der politische Gegner konkret betroffen ist?
- Wie motivieren wir bei dem dadurch entstehenden Gesamteindruck Menschen, sich für Politik zu engagieren oder nur zur Wahl zu gehen?
- Kann man unter solchen Rahmenbedingungen überhaupt noch seriös Politik machen?
Vielleicht stellen sich diese Frage ja nun auch einmal alle Sozialdemokraten, die 2010 noch freudig erregt in das beliebte FDP- und Westerwelle-Bashing eingestimmt haben. Bei allen Unterschieden in inhaltlichen Zielen, bei allen unterschiedlichen Ansichten und Weltbildern – ein bisschen mehr Fairness im gegenseitigen Umgang würde uns allen ganz gut tun.
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